Handelskrieg mit Peking Zwei seltene Metalle bringen die deutsche China-Strategie ins Wanken

Von Christina zur Nedden
Korrespondentin für Asien

Stand: 03.08.2023 | Lesedauer: 5 Minuten

China ist der weltweit größte Produzent von Germanium und Gallium. Die Elemente werden für Hightech-Produkte benötigt. Nun hat Peking den Export beschränkt. Das erwischt vor allem Deutschland kalt, denn die heimische Produktion hat es vor Jahren eingestellt. Quelle: picture alliance/dpa; Montage: Infografik WELT

Sie hätten sich wahrscheinlich nicht denken können, dass ihre Entdeckung einmal nicht mehr in Europa, sondern fast ausschließlich in China zu finden sein würde. Germanium und Gallium tauften ein Deutscher und ein Franzose im 19. Jahrhundert die Elemente, die sie in ihren jeweiligen Heimatländern entdeckten. Heute sind die Europäer für die Lieferung der global gehandelten Metalle fast vollständig von China abhängig.

Vor zwei Wochen verabschiedete die Bundesregierung eine neue China-Strategie, um ökonomisch von der Volksrepublik unabhängiger zu werden. Jetzt gibt es den ersten Realitätscheck: Es gelten von Peking verhängte Exportkontrollen für die beiden Stoffe Germanium und Gallium - als nächste Eskalation im Handelskrieg zwischen den USA, Europa und China. Vor allem Deutschland ist bei den Stoffen sehr stark von der Volksrepublik abhängig.

Damit stellt sich die Frage: Hat Europa ausreichend Zeit, diese Abhängigkeit mittelfristig zu reduzieren? Und wie konsequent kann die China-Strategie durchgesetzt werden, wenn die Volksrepublik am längeren Hebel sitzt?

Sie sind Bestandteil der wichtigen Halbleiter, die in fast allen technischen Produkten von Smartphones, Solarzellen bis hin zu Hightech-Waffen eingebaut sind. Auch für die Produktion von Elektroautos werden sie gebraucht. Die EU führt Germanium und Gallium auf der Liste der "kritischen Rohstoffe", die "entscheidend für Europas Wirtschaft" sind. Zudem sind sie ein Nischenprodukt der Rohstoffindustrie. Jährlich werden jeweils nur wenige Hundert Tonnen der chemischen Elemente produziert, hauptsächlich in China. In den letzten zehn Jahren verdrängten chinesische Produzenten die meisten Konkurrenten vom Markt, indem sie sie preislich unterboten und Umweltstandards niedrig hielten.

94 Prozent des Galliums und 83 Prozent des Germaniums stammen aus der Volksrepublik, wie eine aktuelle Studie der Europäischen Union über kritische Rohstoffe ergab. Seit dem 1. August gelten in China Exportkontrollen für beide Elemente. Ab dann benötigen Exporteure eine Genehmigung vom chinesischen Handelsministerium und müssen Angaben zu den ausländischen Käufern und ihrem geplanten Einsatz der Metalle machen.

Grund für die neue Regelung sei laut der chinesischen Regierung "die nationale Sicherheit und die Interessen Chinas zu wahren". Das Staatsmedium "Global Times" warnte "Dieser ‚erste Schuss' könnte Unternehmen aus Ländern treffen, die hart gegen China vorgegangen sind". Es ist Chinas erste größere Machtdemonstration im seit 2019 laufenden Handelskrieg mit den USA.

Denn Washington hat zahlreiche chinesische Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt, um ihnen den Zugang zu US-Chips und anderen Spitzentechnologien zu verwehren. So soll Pekings zum Beispiel daran gehindert werden, Hochleistungscomputer für seine Verteidigung zu bauen. Auch Japan und die Niederlande haben Produktexporte nach China, die für die Herstellung von Halbleitern gebraucht werden, gedrosselt. Gallium und Germanium sind die Waffen Chinas in dem zunehmend angespannten Chipkrieg. Die chinesischen Staatsmedien bezeichneten die Ausfuhrbeschränkungen der seltenen Metalle als "Warnung" an die USA.

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Doch es gibt ein Land, dass bei der Lieferung der beiden Elemente noch viel abhängiger von China ist als die USA: Deutschland. Für beide Produkte gehörte die Bundesrepublik nach Handelsdaten 2022 zu den Top-Importeuren. Besonders die deutsche Automobilindustrie ist über die jüngsten Entwicklungen besorgt und fürchtet gestörte Lieferketten. Denn auch in Autos sind Halbleiter eingebaut; Gallium gilt als Wegbereiter für Elektrofahrzeuge.

Der weltweit größte Gallium-Abnehmer sitzt in Sachsen. Das Unternehmen "Freiberger Compound Materials" ist bei der Herstellung von Wafern, die in Funksignalverstärkern für Mobiltelefone und in der optischen Elektronik eingesetzt werden, fast ausschließlich auf chinesische Lieferanten angewiesen. "Meine Kunden sehen das ganz und gar nicht gelassen. Es gibt jetzt eine Flut von Aufträgen, um die Lagerbestände zu erhöhen. Die Branche ist sehr angespannt", sagte Geschäftsführer Michael Harz.

Sein Unternehmen habe für mehrere Monate Gallium-Vorräte angeschafft, da Harz mit einer Handelskrise gerechnet hatte. Seine chinesischen Zulieferer gehen davon aus, dass die Lieferungen am 1. August eingestellt werden, wenn die Ausfuhrbeschränkungen in Kraft treten, und etwa einen Monat später wieder aufgenommen werden, sobald die Lizenzanträge genehmigt sind.

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Doch damit das auch passiert muss sich Deutschland gut mit China stellen. Die kürzlich vorgestellte, erste China-Strategie der Bundesregierung schmeichelt der Volksrepublik jedoch nicht gerade. Darin werden sensible Themen, wie Chinas Anspruch auf Taiwan und Menschenrechtsverletzungen in Hongkong klar benannt. Zudem soll Deutschland wirtschaftlich unabhängiger von China werden; "De-Risking" ist das Schlagwort mit dem deutsche Unternehmen nun aufgefordert sind ihre Lieferketten zu diversifizieren.

Teurere Alternativen zum Produzenten China gibt es. Kanada, Japan, Südkorea, die Slowakei und die USA sind Produzenten von Gallium, welches teilweise durch Recycling gewonnen wird. Bei Germanium ist das schwieriger, es wird aber auch in Kanada, Russland und den USA hergestellt. Seit 2016 wird in Deutschland kein Primär-Gallium produziert.

Eine Wiederaufnahme der Primär-Gallium-Produktion wurde 2021 angekündigt, bisher aber noch nicht umgesetzt. Lieferketten zu diversifizieren ist eine teure und langwierige Angelegenheit. In der Zwischenzeit leidet die Wirtschaft und die Konsumenten zahlen höhere Preise, müssen länger auf Endprodukte warten. Manche Länder wie die USA, Japan und Südkorea haben staatliche Vorräte eines oder beider Minerale angelegt - Deutschland nicht.

Druckmittel in einem Handelsstreit

Die chinesischen Exportkontrollen stellen eine bedeutende Eskalation im Technologiekrieg zwischen China und dem Westen dar. Es besteht Grund zur Sorge, dass dies erst der Anfang ist. Denn China dominiert den Weltmarkt für Rohstoffe für High-Tech-Produkte und die EU ist zu über 90 Prozent von Lieferungen aus der Volksrepublik abhängig.

Je nationalistischer die Regierung Xi Jinpings wird, umso mehr wird China seine Vormachtstellung bei bestimmten Materialien als Druckmittel in Handelsstreitigkeiten einsetzen. "Allerdings handelt es sich bisher nicht um ein Exportverbot, sondern um Exportkontrolle, das heißt, es gibt Spielraum bei der Entscheidung, an wen geliefert werden darf", sagt Maren Liedtke, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Rohstoffagentur (Dera). Wer sich gut mit China stellt, sollte auch weiter beliefert werden.

Asymmetrische Abhängigkeiten

Auch sei es nicht im Interesse Chinas den Handelskrieg weiter anzufachen, meinen Experten. Denn Gallium und Germanium könnte langfristig auch mit hohen Kosten und Investitionen in Deutschland hergestellt werden, während es für China schwieriger sein dürfte, selbst Hochtechnologie zu produzieren.

"Die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen China und Deutschland/Europa sind asymmetrisch", sagt Jacob Gunter, Senior Analyst Economy am China-Institut Merics. Es werde für beide Seiten schmerzhaft sein, auf Exportkontrollen für ein bestimmtes Produkt zu reagieren, aber es wird viel einfacher sein, eine Preislücke in Deutschland/Europa zu schließen als eine Technologielücke in China.


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